2. Mai

Der HERR spricht: Wenn doch mein Volk mir
gehorsam wäre!
Psalm 81,14

So vieles läuft schief in der heutigen Welt: Kriege, Klima,
Seuchen, Hunger, Dürren, Korruption im Grossen und im
Kleinen, Anonymität zwischen den Menschen, wenig soziale
Kontrolle, Gleichgültigkeit, Wegwerfgesellschaft, schwindende
Hilfsbereitschaft.
Wir haben wenig bis keine Verbindung zu einer Transzendenz,
in der wir einen Gott orten, der sich Sorgen um uns
macht und entsetzt ist, dass sein Volk seine Gesetze und
Anordnungen nicht einhält. Diese Beziehung nach oben geht
mehr und mehr verloren, und die Völker und Ethnien, die
sich bekriegen, die innenpolitische Schwierigkeiten, Querelen
und Feindschaften miteinander austragen, haben kaum
Bezug nach oben, sondern klagen sich selbst und andere an
und sind niemandem über sich hinaus mehr verantwortlich.
Es ist indes gut, sich an eine transzendente Orientierung zu
halten, diese Vorstellung im Innern noch lebendig zu fühlen.
Das schenkt uns einen Kompass ausserhalb unserer selbst
und ruft uns zu Verantwortung auf.
Wenn Rilke noch dichten konnte «auf Goldgrund und
gross» mit Bezug zur Malerei und damit die Verbindung
des Mittelalters zur Transzendenz meinte, so haben wir den
Weg zu einer Welt über uns weitgehend verloren. Und das
ist ein Verlust.
Was meinen Sie?

Von: Kathrin Asper

1. Mai

Ich bin bei dir, spricht der HERR, dass ich dir helfe.
Jeremia 30,11

Jemand hilft mir, ich helfe jemandem – wobei denn? In der
Not? Bei einer Aufgabe? Bei der Arbeit?
Das wäre das heutige Stichwort, das Thema für den Tag
der Arbeit. Es ist ja kein kirchlicher Feiertag, er ist weltlich,
gehört der Arbeiterbewegung. Ist er deshalb automatisch
nicht christlich, gar antichristlich? Freilich gibt es in der
Geschichte viele, zu viele Beispiele, die die Kirche auf der
Gegenseite sehen, sozialistisch und christlich als Gegensätze.
Immerhin aber hat die Arbeiterbewegung unter ihren mancherlei
Wurzeln auch eine christliche. Das beginnt schon im 19. Jahrhundert, noch vor Karl Marx, und zu Beginn des 20.Jahrhunderts wurde ein «Religiöser Sozialismus» denkerisch und politisch entwickelt. Auch Karl Barth nahm hier
seinen theologischen Anfang, und die Reihe der Theologen
und Theologinnen, die diese Gedanken weiter ausbauten,
ist lang. Verwunderlich ist das nicht, vielmehr ist es begründet im
biblischen Menschenbild. Gott nimmt alle Menschen gleich
wichtig, er sagt allen gleichermassen seine Hilfe zu, er sagt sie
auch denen zu, die im Einsatz für eine gerechte Lebenswelt
und für Menschenwürde stehen.
Gott hilft helfen.

Von: Andreas Marti

    30. April

    Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind. Psalm 25,6

    Im Psalm 25 buchstabiert der Beter seinen Glauben durch. Der Text ist als alphabetisches Gedicht aufgebaut, zu jedem der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets wurde ein Vers verfasst. Der Psalm bildet damit die Summe aus Sinnsprüchen und Bekenntnissen vor einem weiten Horizont des Glaubens, der sich von der Bitte um Schutz in einer Situation der Verfolgung über das Gotteslob bis zum Eingeständnis des eigenen Ungenügens spannt.

    Im Vers, in dem die Güte und Barmherzigkeit Gottes erbeten wird, verdichtet sich die Glaubenshaltung, die den Psalm prägt. Gott gibt dem Menschen Orientierung, doch auf seinem Weg ist der Mensch immer wieder Anfeindungen ausgeliefert, er stolpert und stürzt, scheitert. Deshalb ist er auf die Gnade und den bedingungslosen Zuspruch Gottes angewiesen.

    Gott muss also nicht an seine Eigenschaften erinnert werden, vielmehr verbirgt sich hinter der Gedächtnisstütze eine Bitte. Und das Vertrauen, dass das Gebet erhört wird, folgt sogleich, denn die Barmherzigkeit und Güte Gottes ist «von Ewigkeit her gewesen». Davon berichten die Geschichten, die über Generationen hinweg erzählt werden. Und das zeigt sich wiederholt in der persönlichen Erfahrung.

    Von: Felix Reich

    29. April

    Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Er antwortete aber und sprach: Ich will nicht. Danach aber reute es ihn, und er ging hin. Matthäus 21,2829

    Der erste Sohn im Gleichnis verweigert sich dem Willen des Vaters. Und dennoch tut er seinen Willen. Im Stillen. Denn statt zurück zum Vater zu gehen und seinen Ruf wiederherzustellen, tut er einfach seine Pflicht. Der zweite Sohn hingegen tut das Gegenteil. Er bejaht die Frage des Vaters, lässt seinem Versprechen aber keine Taten folgen und geht nicht in den Weinberg.

    Mit dem Gleichnis geht Jesus mit dem religiösen Establishment auf Konfrontationskurs. Entscheidend sei nicht, das fromme Bekenntnis abzulegen, sondern «den Weg der Gerechtigkeit» (Matthäus 21,32) zu gehen.

    Die Provokation Jesu erinnert daran, dass die Kirche nicht Kirche ist, wenn sie sich selbst genügt. Sie muss immer wieder den Schutz der eigenen Mauern verlassen und zu den Rändern der Gesellschaft vordringen, um Gemeinschaft und Frieden zu stiften. Mir kommen die diakonischen Werke in den Sinn, die in der Nachfolge Jesu für Menschen in allen Lebenslagen da sind. Einige haben sich von ihren religiösen Wurzeln gelöst, durch ihr Tun sind sie kirchlich geblieben.

    Von: Felix Reich

    28. April

    Erhalte mein Herz bei dem einen, dass ich deinen Namen fürchte. Psalm 86,11

    Kaum eine, kaum einer setzt sich wohl Einfalt zum Ziel. Im Lied vom aufgegangenen Mond mögen wir zwar darum bitten: «Lass mich einfältig werden.» Aber das tun wir bloss, weil der Text so alt ist und die Melodie so vertraut. Wer will schon einfältig werden? Wenn, dann schon eher englisch: «Simplify your life!» Viele finden ihr Leben mit gutem Grund zu kompliziert.

    Ich habe es gerne anschaulich: Wenn du ein Blatt einmal faltest, bleibt die Oberfläche glatt. Du kannst darauf schreiben oder zeichnen. Staub und Schmutz lassen sich leicht abwischen. Wenn du ein Blatt vielfach faltest oder gar aus Zeitgründen zerknüllst, bekommst du es nicht mehr flach. Was geschrieben ist, wird verzerrt, und immer bleiben Sandkörner in den Knitterfalten hängen. Im Psalm 86 meldet sich eine Stimme aus einem komplizierten Leben, mit einer zerknitterten und vielfach gefalteten Seele. Sie möchte einfältig werden und vor dem Ewigen auf Erden wieder – wie ein Kind – fromm und fröhlich sein. Vom Psalm über Matthias Claudius bis zu unserer Zeit überbordender Möglichkeiten und Ansprüche wird die Bitte weiter überliefert, weiter gebetet, weiter geseufzt: Lass mich zur Konzentration finden, zur Ausrichtung und Entlastung auf die Mitte hin, bei dir, Gott, der du meines Lebens Mitte bist.

    Die Sonntagsruhe ist übrigens ein schöner Ausdruck dieser Sehnsucht.

    Von: Benedict Schubert

    27. April

    Du sprachst: Ich bin unschuldig; der HERR hat ja doch seinen Zorn von mir gewandt. Siehe, ich will dich richten, weil du sprichst: Ich habe nicht gesündigt. Jeremia 2,35

    «Dieu me pardonnera, c’est son métier.» Von Berufs wegen soll und wird Gott vergeben. Heinrich Heine hat wortgewandt, aber zugleich arrogant Gottes Gnade zu einer Eigenschaft gemacht, die wir in unsere Berechnungen miteinbeziehen können. Gleichzeitig entledigen wir uns damit der Last, als die die Sünde auf uns liegt. Mit einem rhetorischen Kniff haben wir sie wegerklärt. Die Entlastung, die uns aus Barmherzigkeit geschenkt wird, verschaffen wir uns selbst durch Wortwitz.

    Eine Begnadigung ist kein Freispruch. Das Ergebnis mag dasselbe sein: Ich muss die Kosten, die Folgen meines Handelns nicht tragen. Doch nur wenn du freigesprochen wirst, kannst du dich als unschuldig bezeichnen. Wer begnadigt wird, weiss: Ich bin noch einmal davongekommen. Gott eröffnet mir einen Neuanfang. Was ich vorher falsch gemacht, wo ich anderen geschadet habe, das kann ich jetzt gutmachen. Ich kann zum Beispiel lieben, anstatt rücksichtlos meine Interessen zu verfolgen.

    Wer das nicht einsieht, wird gerichtet: Es ist vor Gott und für Gott nicht alles gleichgültig. Ich werde noch einmal erkennen müssen, was ich getan habe. Dann wird es erneut Gottes Gnade sein, die mich davor bewahrt, durch diese Erkenntnis vernichtet zu werden.

    Von: Benedict Schubert

    26. April

    Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gilt für alle Menschen. Prediger 12,13

    In diesem Satz ist das Wesentliche zusammengefasst. Was über zwölf Kapitel an Betrachtungen und Gedanken, an Wissen, Weisheit und Weisung gesammelt und weitergegeben wird, ist zum Schluss in diesem kurzen Vers auf den Punkt gebracht: «Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gilt für alle Menschen

    Es spiegelt sich darin die Erkenntnis, dass bloss menschliche Autorität und Einsicht nicht in der Lage ist, gutes, gelingendes und erfülltes Leben zu schaffen. Der skeptische Ton, der das Buch Kohelet über weite Strecken durchzieht, ist angesichts von Krieg und Ungerechtigkeit in der Welt mehr als berechtigt und nachvollziehbar: «Alles ist eitel und Haschen nach Wind…» (vgl. Kapitel 1). Aber trotz allem soll er nicht den Grundton der Lebensmelodie bestimmen. Der Blick auf Gottes Schöpfung und sein Wirken öffnet die Augen für die andere Dimension des Lebens: «Da merkte ich, dass es nichts Besseres gibt im Leben als fröhlich sein und Gutes tun…» (Kapitel 3,12)

    Anzuerkennen, dass unser Wissen Stückwerk, unser Vermögen begrenzt und unser Leben endlich ist, macht uns menschlich. Das gilt für alle Menschen.

    Mich auszurichten an Gottes Wort und Weisung, macht demütig, mutig und frei und gibt meinem Leben Orientierung und Halt.

    Von: Annegret Brauch

    25. April

    Jesus hob die Hände auf und segnete sie. Lukas 24,50

    Mitten in der Fussgängerzone hat die Kirchgemeinde ein Ladenlokal gemietet. Es gibt dort nichts zu kaufen, aber als ich vorbeikomme, ist der Laden ziemlich voll. Ich frage mich: was suchen – oder finden – die Menschen dort? Das Team der Citykirche verkauft nichts; es lädt ein, sich allein oder mit anderen segnen zu lassen.

    Was bewegt Menschen, sich zwischen einkaufen, Kaffee trinken und Besorgungen machen – sozusagen im Vorübergehen – einen Segen abzuholen?

    Zwei Gedanken fallen mir dazu ein:

    Segnen, griechisch «eulogein», heisst wörtlich übersetzt: «gut reden», im Sinne von «Gutes reden», «Gutes über jemandem aussprechen» beziehungsweise «ihm und ihr zusprechen».  

    Und im (apokryphen) Thomasevangelium sagt Jesus zu den Seinen: «Werdet Vorübergehende.» Er meint: Hängt euch nicht an das, was ihr erreicht habt. Seid und bleibt «im Werden», frei für das Neue, das auf euch zukommt, und dankbar für den Augenblick, in dem die Fülle des Lebens schon da ist.

    Indem er sie segnet, verabschiedet sich Jesus im Lukas-evangelium von den Seinen. Aber sein Segen begleitet sie und uns seither als Trost und Stärkung, als Kraft und Hoffnung schenkendes «gutes Wort». Es ist wirksam unter uns, richtet auf, hält die Sehnsucht wach nach einem erfüllten Leben für alle – auch bei den Menschen in der Fussgängerzone.

    Von: Annegret Brauch

    24. April

    Der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiss, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden. Matthäus 28,56

    Diesmal halte ich mich an das Datum: Es ist schon über zwei Wochen nach Ostern, aber es geht um das Osterwunder, die den Frauen an der Grabhöhle damals und uns heute unbegreifliche Auferstehung Jesu vom Tod. Den Frauen, allen voran Maria Magdalena, erschien Jesus als Auferstandener, aber er war gleichzeitig schon entrückt – sie konnte ihn, den so sehr geliebten, nicht mehr berühren (Johannes 20,11–18). Aber sie sah ihn. Das ist uns durch die zwei Jahrtausende seither nicht mehr vergönnt, mit den wenigen Ausnahmen der Heiligen, denen er noch einmal in einer Vision erschienen ist. Aber dennoch leben unser Glaube und unsere Hoffnung von diesem Ereignis, auch wenn es uns geht wie den Frauen am Grab. Wo wir Jesus bewusst suchen, hören wir oft einen unsichtbaren Engel sagen: Er ist nicht hier. Wo ist er? Wo können wir ihn finden?

    Ist er bei den vielen Menschen, denen Leid geschieht, wie er in seinem Leben bei den Menschen war, die litten, an Krankheit, an Gewalt oder Verachtung oder einfach an Armut? Ich glaube ja, und er ist bei all denen, die zu diesen Menschen gehen und ihnen unter manchmal grossen Gefahren helfen, z.B. im Gazastreifen. Manchmal spüren auch wir, die wir auf der Sonnenseite des Lebens stehen, seine Nähe, unerwartet, unverdient und beglückend, eine wunderbare Gnade Gottes.

    Von: Elisabeth Raiser

    23. April

    Jesus: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiss nicht wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht. Markus 4,2628

    Vor gut zwei Wochen war Ostern – und doch möchte ich noch einmal zurückgehen an den Anfang des Jahres, an dem ich diesen Text schreibe. Noch beflügelt mich Zuversicht, dass dies ein gutes Jahr wird. Dazu tragen wesentlich ein kleiner Junge von zwei Jahren und sein noch viel kleinerer, erst zwei Monate alter Bruder bei, beide Urenkel von uns. Nun ist es für uns schon die dritte glückliche Periode, in der wir eins nach dem andern ein neu geborenes Kind mit allen seinen winzig kleinen perfekten Gliedmassen, dem Gesichtchen, der Stimme usw. bestaunen, und auch wenn die Genetik uns ziemlich genau erklären kann, wie das zustande kommt, bleibt es ein unfassbares Wunder – es geht auf und wächst, und im Grunde wissen wir nicht wie. So ist mir das Gleichnis des Reiches Gottes, das ist wie ein Samen, der aufgeht und der Sämann weiss nicht wie, ganz nah. Das Reich Gottes wird uns geschenkt und hängt nicht von uns ab, sondern erfüllt uns, da wo es sich zeigt, mit Glück und Dankbarkeit. Wir können sicher dazu beitragen, dass es da, wo es sich zeigt – in den Kindern, in der Natur, im friedfertigen Zusammenleben der Menschen, in der Musik – behütet wird und gedeihen kann. Dann springt der Funke auf uns über! Wunderbar!

    Von: Elisabeth Raiser